A. Einleitung

1 Nomenklatur

Da die IUPAC-Nomenklatur je nach Art und Zahl der Substituenten zu einer verwirrenden Vielzahl von Positionsnummern führt, wird hier im allgemeinen eine Nomenklatur verwendet, die zwar nicht in allen Fällen dem IUPAC-Standard entspricht, dafür jedoch einen einfacheren Vergleich zwischen den verschiedenen Verbindungen erlaubt. Die verwendete Numerierung weist dem Yliden-Kohlenstoff die Nummer 1 zu (wie auch die IUPAC-Nomenklatur bei den entsprechenden Keto-Verbindungen), während die Doppelbindungen im Ring an den Positionen 2 und 5 sitzen.

Abb. A1: Nomenklatur (IUPAC-Bezeichnung in Klammern): I: 2,5-Cyclohexadienon (2,5-Cyclohexadienon),
II: 1-Methylen-2,5-cyclohexadien (3-Methylen-1,4-cyclohexadien),
III: 4,4-Dimethyl-2,5-cyclohexadienon (4,4-Dimethyl-2,5-cyclohexadienon),
IV: 4,4-Dimethyl-1-methylen-2,5-cyclohexadien (3,3-Dimethyl-6-methylen-1,4-cyclohexadien).

2 Bedeutung des Cyclohexadienylidensystems

2.1 Allgemeine Aspekte

Das Cyclohexadienylidensystem ist aus mehreren Gründen von besonderem Interesse sowohl für die theoretische als auch für die angewandte Chemie. Erstens findet sich dieser Grundkörper in Steroiden (z.B. Prednison, Triamcinolon), Alkaloiden (z.B.: Proaporphine [1] wie Orientalinon und Mecambrin) und anderen biologisch wichtigen Stoffen [2].

Abb. A.2: Biologisch wichtige Verbindungen mit 2,5-Cyclohexadienon-Gruppe: Prednison (links oben),
Triamcinolon (rechts oben), Orientalinon (links unten) und Mecambrin (rechts unten).

Des weiteren gehören die Vertreter dieser Verbindungsklasse zu den kreuzkonjugierten Verbindungen, die besonders für die theoretische organische Chemie interessant sind [3] (vgl. Kapitel B.3). Außerdem wurde auch die Photochemie des Cyclohexadienylidensystems eingehend untersucht [4].

Abb. A.3: Photosiomerisierung von 4,4-Dimethyl-1-methylen-2,5-cyclohexadien (IV).

2.2 Tautomerie des Cyclohexadienylidensystems

Viele Verbindungen mit diesem Grundkörper stellen Tautomere zu entsprechenden aromatischen Systemen dar. So sind die einfachsten Vertreter Cyclohexadienon (CHDO, I) und Methylencyclohexadien (MCHD, II) die tautomeren Formen von Phenol beziehungsweise Toluol.

Abb. A.4: Tautomerie von Phenol und Toluol.

Aus diesem Grund sind CHDO und MCHD auch nicht stabil. Die aromatischen Formen liegen energetisch wesentlich tiefer. So beträgt der Energieunterschied zwischen Phenol und CHDO 42 kJ/mol [5] und zwischen Toluol und MCHD gar 100 kJ/mol [6]. Das thermodynamische Gleichgewicht liegt also ganz auf Seite der aromatischen Verbindungen und sobald die (offensichtlich sehr kleine) Aktivierungsenergie zur Verfügung gestellt wird, setzen sich CHDO und MCHD effektiv irreversibel zu Phenol bzw. Toluol um.

Aufgrund der Tautomerie tauchen die verschieden substituierten Grundkörper auch als Zwischenstufen in vielen Reaktionen von aromatischen Verbindungen auf [7].

Abb. A.5: Schematischer Ablauf der Bromierung von Phenol.

3 Die Frage der Planarität

Intuitiv würde man erwarten, daß ein kreuzkonjugiertes Bindungssystem eben gebaut ist. Diese Erwartung wird bei den kreuzkonjugierten Fünfring-Verbindungen auch bestätigt: Cyclopentadienon (V) und Fulven (VI) sind in der Tat eben. Das acyclische Analogon zum Fulven, das 3-Methylen-1,4-pentadien (VII), ist zwar nicht eben, dies ist jedoch aufgrund der sterischen Hinderung durch die zwei "inneren" Vinyl-Wasserstoffatome leicht verständlich.

Abb. A.6: Einfache Kreuzkonjugierte Verbindungen: Cyclopentadien (V),
Fulven (VI) und 3-Methylen-1,4,-pentadien (VII).
Bei den kreuzkonjugierten Sechsring-Verbindungen finden sich widersprüchliche Angaben in der Literatur. So wurden einerseits für g-Pyron (VIII) und seine drei Schwefel-Analoga mittels Mikrowellenspektroskopie eindeutig planare Ringe nachgewiesen [8]. In der Vergangenheit wurden diesen Pyronen immer wieder aromatische Eigenschaften zugeschrieben, was durch entsprechende Resonanzstrukturen auch einleuchtend erklärt werden kann (vgl. Abb. A.7). Dies würde zu einer stärkeren Bevorzugung einer planaren Struktur führen. Norris et al. [9] haben jedoch durch Zeeman-Effekt-Messungen nachgewiesen, daß die Pyrone (wie auch Tropon) im wesentlichen als nicht-aromatisch zu betrachten sind. Die Ebenheit der Pyrone kann also nicht auf teilweise Aromatizität zurückgeführt werden. Sie nehmen somit in der Betrachtung kreuzkonjugierter Sechsringverbindungen keine Sonderstellung ein.

Abb. A.7: Postulierte mesomere Grenzstrukturen von g-Pyron (VIII).
Andererseits wurde für 4,4-Dimethyl-1-methylen-2,5-cyclohexadien (DMMCHD, IV) eine durch Elektronenbeugung bestimmte nicht-ebene Struktur veröffentlicht [10]. Liotta et al. [11] schreiben sogar ganz allgemein: "sterically, cyclohexadienones exist as shallow boats", aber diese Behauptung wird weder durch Literaturverweise belegt, noch konnte in den vielen Artikeln, die im Laufe dieser Arbeit zusammengetragen wurden, ein Hinweis auf strukturelle Untersuchungen an Cyclohexadienonen gefunden werden. Der Hinweis auf eine Wannenstruktur ist jedoch insofern sinnvoll, als dies - im Gegensatz zum gesättigten Sechsring, der sowohl als Wanne wie auch als Sessel vorliegen kann (wobei hier die Sesselform energetisch bei weitem günstiger ist) - die einzig mögliche nicht-ebene Struktur des para-Cyclohexadienyliden-Systems darstellt (vgl. [12]). Dies liegt an der Versteifung des Ringes durch die beiden endocyclischen Doppelbindungen. Der Ring verhält sich also ähnlich wie ein Vierring, weshalb man solche Systeme auch als "pseudo-Vierringe" bezeichnet.

4 Aufgabenstellung

Die Zahl der Strukturuntersuchungen an kreuzkonjugierten Verbindungen ist bisher nur gering und, wie oben gezeigt wurde, sind die bisher veröffentlichten Ergebnisse zum Teil widersprüchlich. Ziel dieser Arbeit war es deshalb, die (Nicht-)Ebenheit des para-Cyclohexadienyliden-Systems zu untersuchen. Die hierfür vorbereitend durchgeführten theoretischen Berechnungen favorisierten eine ebene Struktur für alle untersuchten para-Cyclohexadienyliden-Systeme. Zweifel an der korrekten Interpretation der Elektronenbeugungsdaten [10] von DMMCHD (IV) waren also angebracht und eine Klärung der Ebenheitsfrage durch die Mikrowellenspektroskopie erschien lohnenswert.

Nachdem sowohl für Cyclohexadienone allgemein als auch für DMMCHD im besonderen nicht-ebene Strukturen in der Literatur auftauchen, sollte je ein Vertreter der Oxo-Verbindungen (2,5-Cyclohexadienone) und der Methylen-Verbindungen (1-Methylen-2,5-cyclohexadiene) synthetisiert und mit Hilfe der Mikrowellenspektroskopie untersucht werden. Während bei den Methylenverbindungen der einfachste Vertreter gewählt werden konnte, mußte bei den Oxo-Verbindungen auf ein 4,4-dimethyliertes Molekül zurückgegriffen werden, da der Versuch des mikrowellenspektroskopischen Nachweises des 2,5-Cyclohexadienons bereits früher ohne Erfolg geblieben war [12]. Die beiden Methylgruppen in 4-Position erschweren zwar eine Aussage über die Ebenheit des Ringes, andererseits ist so jedoch eine Aussage über einen eventuellen Einfluß dieser Gruppen auf die Struktur des Ringes möglich.


Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Zum nächsten Kapitel